Fiets Paradijs
Ja, Belgien ist für uns ein Fahrradparadies. In der Nacht zum 6.7.16 schlafen wir vermutlich schon in Belgien. Wir wissen es nicht genau, denn von einem Grenzhinweis ist weit und breit nichts zu sehen.
Doch bei unserem ersten Einkauf im Supermarkt sind wir uns sicher. Ein Supermarkt ohne Fenster mit zahlreichen einzelnen fensterlosen Kühltruhen, wobei der Inhalt auf einem Poster gezeigt wird. Ein eiskalter Innenraum, in dem Obst, Gemüse und Käse verwahrt wird, doch überall kann man kleine Häppchen Käse, Melone usw. naschen. Die Belgier sind einfach praktisch. An der Kasse läd die Scanner-Frau die Ware von unserem Einkaufswagen in einen leeren Wagen, der immer dort bereit steht. An jedem Wagen gibt es übrigens eine Klipp-Halterung für den Einkaufszettel. Tja, echt praktisch die Belgier! Allerdings sahen wir dann in Belgien soooo einen Supermarkt nie wieder. Alle anderen waren den französischen ähnlich.
Und Brotautomaten haben die Belgier! In vielen kleinen Dörfern können wir an den Wochenenden oder nach Ladenschluss hier zu frischem Brot kommen. Dazu einen der bereits angemachten Salate, die es in allen Variationen in den Märkten gibt – und das Picknick steht.
An der Schelte entlang radeln wir durch schöne flache Natur nach Gent. Unterwegs sehen wir viele Kanadische Wildgänse und Rothalsgänse. Die Frösche veranstalten derzeit mächtige Konzerte.
Gent, die zweitgrößte Stadt in Flandern, hat einiges zu bieten. Historische schöne alte Gebäude, befahrbare Kanäle und sehr viele gemütliche Straßencafes. Wir haben schönes Wetter und jung und alt genießen die Sonne, verweilen in den Cafes oder sitzen an den Uferpromenaden.
Die Schelte wollen wir nicht verlassen, denn es ist so schön flach hier. Wir haben Rückenwind und die Radwege sind in gutem Zustand. Diese haben hier ein Nummernsystem und von A nach B zu kommen ist es ratsam sich die Nummern der einzelnen Streckenabschnitte zu notieren. So radeln wir zum Beispiel an einem Vormittag die Strecke: 98-82-101-103-84-104-69-505-533 ….Immer an den Knotenpunkten fängt ein neuer Streckenabschnitt an.
Das Hinterland der Schelte wird oft durch einen Damm geschützt, der an vielen Stellen von Kaninchen untergraben ist. Die nicht sehr scheuen Kaninchen sehen wir überall. Sie sind wohl an die vielen Radler gewöhnt. Denn Radler gibt es hier auch massenweise. Der Belgier ist wohl der geborene Radfahrer. Über die Schelte kann man an vielen Stellen mit einer kostenlosen Fähre zum anderen Ufer übersetzen.
In Boom, einer Kleinstadt, wollen wir das EM Halbfinalspiel Frankreich-Deutschland sehen. Wir finden die Hollywoodbar mit netten Belgiern – allerdings sind sie irgenwie alle ein wenig beleidigt, da Belgien gegen Wales ausschied – die alle interessiert sind, für wen wir bei diesem Spiel wohl jubeln. Ja, letztendlich war es dann Agnès. Nach dem Spiel bauen wir unser Zelt still und heimlich im Stadtpark auf, wo wir eine ungestörte Nacht verbringen.
In Mechelen verlassen wir die Schelte, besuchen dort die prächtige gothische St. Romualds Kathedrale mit einer berühmten holzgeschnitzten Kanzlei von 1886. In der Kathedrale sind auch Werke von bedeutenden Meistern wie Lucas Faydherbe, Abraham Janssens van Nuyssen, Gaspar de Crayer, Michiel Coxcie und Anthonis van Dyck ausgestellt.
Bei Werchter suchen wir uns mal wieder einen Campingplatz und wundern uns, dass auf diesem kleinen Campingplatz, den wir dann finden, ein ziemlich großer Andrang herrscht. Doch irgendwann ist klar. Werchter ist eines der europaweit viertgrößten Austragungsorte für Rockkonzerte. Wir landen mitten in Rock Werchter 2016. Am 9.7. ist der ausverkaufte Auftritt von Bruce Springsteen und die Fans in unserem Alter sind angereist. Wir sind die Einzigen die am 9.7. wieder abreisen – die Fans wundern sich über uns.
Es geht weiter durch wildes, teilweise noch überschwemmtes Naturschutzgebiet, später durch schattige Waldgebiete und immer wieder durch eine Kleinstadt mit viel Atmosphäre. Am Albert Kanal entlang führt der Radweg flach nach Liège (Lüttich).
Bereits ca. 20 Kilometer vor Liège kommen wir in die französisch sprechende, wallonische Region. Diese Gegend scheint ärmer zu sein. Mehr Müll, weniger gute Wege, kein Radwegnummernsystem mehr.
Liège lassen wir „links“ liegen, und nehmen ab da den Ravel (Réseau Autonome de Voies Lentes, also „unabhängiges Netz langsamer Wege“), an der Ourthe entlang bis Tilff. Auf dem dortigen Camping municipal bleiben wir bei gutem Wetter zwei Tage lang, lassen es uns gut gehen (= schlemmen) und schauen uns das Endspiel Frankreich – Portugal an. Auch in diesem Lokal herrschte eine angenehme Atmosphäre. Auch gilt es den großen Zeh von Agnès zu pflegen, denn sie stolperte über einen Betonstein und enthäutete ihn.
In den belgischen Ardennen müssen wir uns wieder auf ein paar Höhenmeter gefasst machen. Aber die Aussichten sind prima und es ist so gut wie nichts los. Dafür regnet es immer mal wieder und es ist nicht einfach einen ebenen und einigermaßen trockenen Schlafplatz in der Natur zu finden.
Weiter geht es durch Wald und Wiesen in Richtung deutscher Grenze. Hier wird plötzlich, obwohl noch in Belgien, Deutsch gesprochen. Auch die Hinweisschilder wie „Polizei“ oder „Baustelle“ sind schon auf Deutsch, was uns ziemlich wundert.
Wir kommen zum Weißen Stein in der Nordeifel, auf 655 m. Von hier aus sind es nur noch wenige hundert Meter bis nach Deutschland. Einen Hinweis auf die Grenze können wir auch hier nirgends mehr sehen.
Fotos zu Belgien: